T.A.02595 Konzept "...noch nicht mit Erde bedeckt"

KONZEPT

 

Ort:     Steyr, Rathauspassage           

Zeit:    27. April - 7. Mai 1995           

Art:      Environment / Installation           

Foto:   Walter Ebenhofer

 

Der Einladung mich mit einem Kunstprojekt an den Feierlichkeiten zum Thema: "50 Jahre Ende des 2. Weltkrieges - Beginn der 2. Republik" zu beteiligen, entsprang folgende Idee:

             

Ein Environment in der Rathauspassage Steyr. Am Boden ein zur Gänze mit Blattgold überzogenes 9-teiliges Feld mit der Breite von 270 cm und der Länge von 600 cm. Die Position der Fläche ist so gewählt, daß die gesamte Durchgangsbreite sowie die beiden seitlichen Eingangsöffnungen zum Lift und in das Stiegenhaus von der Goldfläche bedeckt werden. Jeder von der Stadtplatzseite kommende Rathausbesucher ist so gezwungen vom 27.4. bis 7.5. über die Goldfläche zu gehen und die Spuren seines Weges darauf zu hinterlassen.

             

Zum Thema

       

50 Jahre nach Beendigung des 2. Weltkriegs und der Befreiung von Überlebenden in den Vernichtungslagern stehen wir vor der Aufgabe, die Vergangenheit nicht zu verdrängen oder zu vergessen, sondern sie durch aktive Auseinandersetzung mit den stattgefundenen Greueltaten der NS-Zeit zu verarbeiten und bewältigt in die Zukunft zu tragen.

             

Die erscheinende Möglichkeit, mit künstlerischen Mitteln für das unermeßliche Leid der in den Konzentrationslagern ermordeten Opfer zu sprechen und damit den Willen zur Wiedergutmachung durch symbolische Befreiung der Vergangenheit zu signalisieren, ist nicht nur eine Aufgabe, sondern sollte Pflicht sein.

             

Zur Idee

           

Die Einbeziehung des denkenden, fühlenden und handelnden, also des ganzen Menschen ohne Unterschied auf Rasse, Religion, Beruf, Alter oder sozialen Stand, ist ein wesentliches Grundmerkmal meiner Arbeit. Um möglichst viele Menschen in Hinsicht auf oben genannte Merkmale zu erreichen, ergibt sich als logischer Ort der Aktion - insbesondere auch in Hinblick auf die Erfordernis eines überdachten, öffentlichen Raumes - die Eingangspassage des Steyrer Rathauses.

             

Zur Technik          

 

Unterbau aus 19mm 3-Schicht-Holzplatten. Darauf befinden sich 9 Roheisentafeln (St37) in der Größe von je 900x2000x3 mm. Die Eisentafeln sind auf der Oberseite mittels Siebdrucktechnik bedruckt und darüber zur Gänze mit 23-karätigem Blattgold vergoldet. Ich verwende hier erstmals Eisen als Bildträger, auch als Hinweis über die ambivalente Beziehung von Gold und Krieg - "Gold gab ich für Eisen".

Die bedruckte Fläche ist mit einem Spezialklarlack - wie er z.B. in Turnsälen verwendet wird - überzogen, um die Oberfläche rutschfest zu machen und den mittels Siebdruck aufgebrachten Bildinhalt vor groben"Verletzungen" zu schützen. Die angewandte Vergoldungstechnik bewirkt eine zusätzliche mechanische und psychologische "Bremswirkung".

             

Zur Kunst          

           

Das Begehen der goldenen Fläche wird im Laufe der Zeit die zwei darunter liegenden Bildinhalte partiell freilegen - befreien.

 

Ein Teil der Bildinhalte stammt aus dem Yad Vashem in Jerusalem (gefunden von mir 1994) und bezieht sich auf das alle Opfer verbindende Leid – ein „noch nicht mit Erde bedecktes“ Massengrab in Bergen Belsen, 1945.

Der andere Teil stammt aus regionaler Quelle "Heimatsammlung Krenn" in Steyr (gefunden von mir 1995) und bezieht sich auf die Örtlichkeit des Gestaltungsortes - eine Menschenmenge am Steyrer Stadtplatz, 1938.

 

Die zwei Bildinhalte ziehen sich thematisch durch alle Tafeln und weisen auf ein verbindendes Element der Wahrheit. Die auf den Tafeln durch den menschlichen Weg geschaffenen Spuren - der eigentliche Kunstprozess - sind jedoch verschieden. Sie gestalten jede Tafel zu einem Unikat und weisen auf ein Element der verbindenden Vielfalt: die Kunst.

             

Durch die ausschnitthaft stark verkleinerte und vervielfältigte Reproduktion der Originalbilder und deren Distanz zum stehenden/gehenden Betrachter erscheinen die auf den Bildern befindlichen Menschenmassen als abstrakte Struktur. Die dadurch sich vollziehende Abstrahierung der Täter - Opfer Bezüge weist auf ein reinigendes Element.

             

Möchte der, die Gestaltungsfläche beschreitende GestalterIn das unter dem Gold befindliche "Menschen-Bild" erkennen, muß er sich als Rezipient bücken. Er senkt dabei das Haupt vor der Wahrheit. Nach dem Aufrichten wird er seinen nächsten Schritt mit einem beginnenden Erkennen fortsetzten. Der Gestaltungsprozess hat so erweitert zwischen den Wirbeln seines Rückgrads stattgefunden. Sein erkennendes Aufrichten ist hier auch als Hinweis auf das spätere Aufrichten der Tafeln zu sehen.

             

Die, durch das Begehen stattfindende, Erosion der "blendenden" materiellen Ebene bringt das Leid der Vergangenheit als eine unter dem Gold (im Gold) verborgene Wahrheit ans Tageslicht. Das Begehen der Goldfläche ist so ein gestalterischer Prozeß, welcher den täglichen menschlichen Weg zu einem schöpferischen werden läßt. Über die provokative Konfrontation mit der Vergangenheit - und den dabei geschaffenen menschlichen Spuren - wird eine der Kunstwahrheit immanente (hier prozeßbedingte) Ästhetik entstehen, welche die „Schönheit“ einer bewältigten Wirklichkeit erscheinen lassen wird.

             

Nach Ablauf der "Gestaltungszeit" werden die 9 Eisentafeln in Form von drei Triptychen aufgerichtet und als ein von Steyrer Bürgern gemeinsam geschaffenes Kunstwerk der Öffentlichkeit präsentiert. Das Aufrichten der Tafeln und die dabei stattfindende Verschiebung von der Horizontalen in die Vertikale ist ein Prozeß, der mit einer evolutionären, auch schmerzbehafteten Aufrichtung vergleichbar ist.

             

Wahrheit, Weg und Geschichte werden so, als Kunst konserviert, dauerhaft in die Zukunft transportiert.

             

Johannes Angerbauer 1995

             

Zu dieser Arbeit erschien eine Prozessdokumentation, siehe Projektseite


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